DUMMY – Der Podcast

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„Lieber ein reuiger Sünder als tausend Gerechte“

Ein Tag mit dem Ordnungsamt

Teil 1

Von Oliver Geyer

Die Annäherung

Wie sehr sich die Ordnungsamtsleute von ihren Mitbürgern angefeindet wähnen, lässt sich auch daran ermessen, wie lange sie sich geziert haben, mit mir gemeinsame Sache zu machen. Dabei wollte ich doch nur mal für ein paar Stunden auf Streife mitlaufen. Meine Anfrage an alle zwölf Berliner Bezirksämter wurde mit lauter unbegründeten Absagen beantwortet: Geht leider nicht. Es klappte erst, als ich einen von ihnen auf der Straße ansprach. Klar würde er mich mal mitnehmen, sagte der junge Parkraumüberwacher, warum denn nicht, und verriet mir Namen und Dienstnummer. Beim zuständigen Bezirksamt öffneten sich damit alle Türen. Aber bitte keine Namen nennen, gab man mir mit auf den Weg, und ich fragte mich, was diese Leute schon alles erlebt haben müssen.

Wie sehr sich die Ordnungsamtsleute von ihren Mitbürgern angefeindet wähnen, lässt sich auch daran ermessen, wie lange sie sich geziert haben, mit mir gemeinsame Sache zu machen. Dabei wollte ich doch nur mal für ein paar Stunden auf Streife mitlaufen. Meine Anfrage an alle zwölf Berliner Bezirksämter wurde mit lauter unbegründeten Absagen beantwortet: 7.45 Uhr, Bezirksamt Mitte in der Karl-Marx-Allee

Im dritten Stock empfängt mich der Leiter der Abteilung „Ruhender Verkehr“. Leider sei der junge Mitarbeiter, den ich angesprochen hätte, krank, es gebe aber erstklassigen Ersatz: Stefan L., ein älterer und sehr erfahrener Kollege. Der steht kurz darauf in der Tür und ist das Urbild des weißhaarigen, etwas untersetzten Berliner Spaßbären, der einem in dieser Stadt überall begegnet – als Taxifahrer, als Handwerker oder eben als Stefan L. vom Ordnungsamt. Seine Kollegin Birgit N. kündigt er mir gleich als „Deeskalation uff zwee Beene“ an. Heute geht ihr gemeinsamer Einsatz in Zone 12: „Also jut, heute also mal wieder nach Disneyland“, sagt Stefan L. Er meint damit das Viertel rund um den ehemaligen Grenzübergang Checkpoint Charlie, wo es vor Touristenbussen und Autos nur so wimmelt. Ein Eldorado des Falschparkens, der abgelaufenen Parkscheine und des Haltens in zweiter Reihe.

Im dritten Stock empfängt mich der Leiter der Abteilung „Ruhender Verkehr“. Leider sei der junge Mitarbeiter, den ich angesprochen hätte, krank, es gebe aber erstklassigen Ersatz: 8.15 Uhr, Aufenthaltsraum an der Berolinastraße

Im dritten Stock empfängt mich der Leiter der Abteilung „Ruhender Verkehr“. Leider sei der junge Mitarbeiter, den ich angesprochen hätte, krank, es gebe aber erstklassigen Ersatz: Wir machen uns zu dritt auf den Weg – nicht ohne noch einen Schlenker über den Aufenthaltsraum der Parkraumüberwacher zu machen, wo schon in aller Herrgottsfrühe ungeniert in Schokoküsse gebissen und in Schüsseln mit Marshmallows und Snickers gegriffen wird. Zehn bis fünfzehn Kilometer am Tag legen die Außendienstler zu Fuß zurück, dafür braucht man Energie. Vielleicht geht’s aber auch ein bisschen darum, vor dem eintönigen Einsatz noch mal das süße Leben zu genießen.

Im dritten Stock empfängt mich der Leiter der Abteilung „Ruhender Verkehr“. Leider sei der junge Mitarbeiter, den ich angesprochen hätte, krank, es gebe aber erstklassigen Ersatz: 8.30 Uhr, in einem Waggon der U2 in Richtung Stadtmitte

Frage an den gut gelaunten Stefan L.: Deprimiert es Sie denn nicht, jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit schon zu wissen, dass es wahrscheinlich wieder viel Hickhack geben wird? Er winkt ab. Darf man nicht persönlich nehmen. Die Leute meinen nicht dich, die meinen die Uniform. So schlimm sei es oft auch gar nicht, er habe auf der Straße seine ganz eigenen kommunikativen Tricks gelernt. Stolz gibt er paar Kostproben: „Wennse sagen, ich hätte gern Ihren Namen, sag ich: Schall und Rauch – oder: schönen Dank, bin schon verheiratet. Manchmal sacht auch einer, ich kenne Ihren Chef. Dann sag ich: Ist ja ein Ding, den kenn ich auch!“ Nach erfolgreicher Abwehr erkläre er den Leuten ganz in Ruhe, was sie falsch gemacht haben, und erlasse ihnen sogar die Strafe, sofern sie Bereitschaft zeigten, direkt wegzufahren oder nachzuzahlen. So als erzieherische Maßnahme. „Ick sage immer: Lieber ein reuiger Sünder als tausend Gerechte.“

Wenn’s mit der Reue mal nicht so klappt, weiß Stefan L. aus seinem gut abgehangenen Erfahrungsschatz zu schöpfen: „Im Falle eines Angriffs ist Wegrennen und lautes Schreien immer noch das Sicherste, sag ick immer.“ Und dann fügt er noch hinzu: „Lieber fünf Minuten feige als ein Leben lang tot, sag ick immer.“

Wenn’s mit der Reue mal nicht so klappt, weiß Stefan L. aus seinem gut abgehangenen Erfahrungsschatz zu schöpfen: „Das ist ja keen innerer Vorbeimarsch, Leute aufzuschreiben“

Wenn’s mit der Reue mal nicht so klappt, weiß Stefan L. aus seinem gut abgehangenen Erfahrungsschatz zu schöpfen: Ein Tag mit dem Ordnungsamt

Wenn’s mit der Reue mal nicht so klappt, weiß Stefan L. aus seinem gut abgehangenen Erfahrungsschatz zu schöpfen: Teil 2

Wenn’s mit der Reue mal nicht so klappt, weiß Stefan L. aus seinem gut abgehangenen Erfahrungsschatz zu schöpfen: 8.45 Uhr, Kronenstraße in Richtung Mauerstraße

Wenn’s mit der Reue mal nicht so klappt, weiß Stefan L. aus seinem gut abgehangenen Erfahrungsschatz zu schöpfen: Stefan L. und Birgit N. sprechen sich kurz ab, wer welche Seite der Straße übernimmt, und schreiten zur Tat. Die „Deeskalation uff zwee Beene“ ist mittleren Alters und mit einem einnehmenden Lächeln ausgestattet, wie man es auf keinem Kommunikationsseminar lernen kann.

Kaum nähern sich die Ordnungshüter, lässt der Besitzer eines SUV die Scheibe runter und sagt mit osteuropäischem Akzent, dass seine Frau nur gerade etwas abholen müsse. Die Stimme von Stefan L. wird jetzt sehr streng: „Wir werden das beobachten.“ Dann nimmt er sich ein polnisches Auto vor, das keine Umweltplakette hat. Für einen alten Hasen tippt er erstaunlich irrlichternd auf seinem Gerät herum, mit dem die Ordnungswidrigkeiten elektronisch zur Anzeige gebracht werden. Dieses Touchscreen-Device habe er neu, entschuldigt er sich, früher gab es richtige Knöpfe, daran müsse er sich noch gewöhnen. Das Ordnungsamt sei eben auch nur ein Mensch. Und gleich sieht er auch darin noch einen Vorteil: Man könne sich ruhig etwas Zeit lassen, das meiste in so einer Straße regele sich sowieso von ganz alleine. Man müsse nur ein bisschen Präsenz zeigen.

Kaum nähern sich die Ordnungshüter, lässt der Besitzer eines SUV die Scheibe runter und sagt mit osteuropäischem Akzent, dass seine Frau nur gerade etwas abholen müsse. Die Stimme von Stefan L. wird jetzt sehr streng: Ich verstehe, was er meint. Aus verschiedenen Richtungen kommen Menschen angelaufen, die uns gesehen haben und sich beeilen, ihren Motor zu starten, noch schnell Geld einzuwerfen und einen neuen Parkschein ins Auto zu legen. Einer bedankt sich sogar mit einer theatralischen Verbeugung dafür, dass wir ihn nicht sofort aufgeschrieben haben. Aus freien Stücken weichen sie alle zur Seite, sobald wir uns nur nähern. Stefan L. und die Verkehrssünder, für einen Moment erinnert das an Moses und das Rote Meer.

Kaum nähern sich die Ordnungshüter, lässt der Besitzer eines SUV die Scheibe runter und sagt mit osteuropäischem Akzent, dass seine Frau nur gerade etwas abholen müsse. Die Stimme von Stefan L. wird jetzt sehr streng: Ob sie keinen Ehrgeiz haben, mehr Leute aufzuschreiben, will ich wissen. Nein, sagt er, Prämien für Anzeigen gebe es nicht, auch keinen Wettbewerb unter Kollegen. Ihre Abteilung profitiere ja nur, wenn die Leute ihr Geld in den Automaten werfen. Das bringe immerhin um die acht Millionen Euro Reingewinn pro Jahr, allein in Mitte. Deshalb sei ihr ganzes Ansinnen, dass sich die Leute an Parkregeln halten. Also besser einfach Präsenz zeigen und dadurch Geld in die Kassen spülen. Und immer schön zu unterschiedlichen Zeiten kommen, um die Leute zu überraschen.

Kaum nähern sich die Ordnungshüter, lässt der Besitzer eines SUV die Scheibe runter und sagt mit osteuropäischem Akzent, dass seine Frau nur gerade etwas abholen müsse. Die Stimme von Stefan L. wird jetzt sehr streng: 9.25 Uhr, Mauerstraße Ecke Friedrichstraße

Disneyland ist heute eine große Enttäuschung. Rund um den Checkpoint Charlie sind nur wenige Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung zu verzeichnen. Ist Stefan L. auch enttäuscht? „Nee, für mich ist es ja keen innerer Vorbeimarsch, Leute aufzuschreiben.“ Dann bleibt er stehen, und seine Stimmlage kriegt eine konspirative Färbung. „Aber unter uns Pastorentöchtern: Es gibt schon so Kollegen, denen das Spaß macht und die auch nicht gerade wie Liebesengel auftreten. Wir haben ja ganz verschiedene Menschentypen, vom ehemaligen Hilfskoch bis zur ausgebildeten Kindergärtnerin.“ Dann, nach einer kurzen Pause: „Wobei Kindergärtnerin eigentlich eine ganz gute Voraussetzung ist für den Job.“

Disneyland ist heute eine große Enttäuschung. Rund um den Checkpoint Charlie sind nur wenige Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung zu verzeichnen. Ist Stefan L. auch enttäuscht? „Nee, für mich ist es ja keen innerer Vorbeimarsch, Leute aufzuschreiben.“ Dann bleibt er stehen, und seine Stimmlage kriegt eine konspirative Färbung. „Aber unter uns Pastorentöchtern: „Im Zweifel für den Angenagten, sag ick immer“

Disneyland ist heute eine große Enttäuschung. Rund um den Checkpoint Charlie sind nur wenige Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung zu verzeichnen. Ist Stefan L. auch enttäuscht? „Nee, für mich ist es ja keen innerer Vorbeimarsch, Leute aufzuschreiben.“ Dann bleibt er stehen, und seine Stimmlage kriegt eine konspirative Färbung. „Aber unter uns Pastorentöchtern: Ein Tag mit dem Ordnungsamt

Disneyland ist heute eine große Enttäuschung. Rund um den Checkpoint Charlie sind nur wenige Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung zu verzeichnen. Ist Stefan L. auch enttäuscht? „Nee, für mich ist es ja keen innerer Vorbeimarsch, Leute aufzuschreiben.“ Dann bleibt er stehen, und seine Stimmlage kriegt eine konspirative Färbung. „Aber unter uns Pastorentöchtern: Teil 3

Disneyland ist heute eine große Enttäuschung. Rund um den Checkpoint Charlie sind nur wenige Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung zu verzeichnen. Ist Stefan L. auch enttäuscht? „Nee, für mich ist es ja keen innerer Vorbeimarsch, Leute aufzuschreiben.“ Dann bleibt er stehen, und seine Stimmlage kriegt eine konspirative Färbung. „Aber unter uns Pastorentöchtern: 9.40 Uhr, Zimmerstraße in Richtung Wilhelmstraße

Stefan L. und Birgit N. schreiben den einen oder anderen Wagen auf, setzen ansonsten aber ihre Strategie der weisen Nichteinmischung fort. Das ist gelebter Ordnungsamts-Taoismus, Wu Wei im Dienste der Straßenverkehrsordnung. Ein Urban Gardener, der ein Minibeet auf dem Gehweg bepflanzt und seinen Transporter vor anderen parkenden Autos abgestellt hat, ruft eilfertig: „Bin sofort weg!“ Stefan L. geht feixend weiter: „Der Wagen da drüben, oder watt? Den sehe ich doch gar nicht – starker Nebel heute.“ Der Gärtner lacht und salutiert mit dem Finger an der Stirn.

In die Kategorie „Unter uns Pastorentöchtern“ fällt auch dieses sympathische Geständnis von Stefan L.: Manchmal müsse man auch ein Auge zudrücken. Nicht jeder könne immer alles korrekt machen. Deshalb hauen sie nicht jeden für alles gleich in die Pfanne. Man braucht Fingerspitzengefühl. Er habe ja, bevor er die Seiten wechselte, in seinem früheren Leben mal einen Eiswagen gehabt. Da habe er auch öfter in zweiter Reihe gestanden, er wisse doch, dass es manchmal nicht anders geht.

In die Kategorie „Unter uns Pastorentöchtern“ fällt auch dieses sympathische Geständnis von Stefan L.: Stefan L. und Birgit N. laufen in ein Hotel, wo sie der Rezeptionist immer zur Toilette gehen lässt. Als sie wieder rauskommen, fühlt sich eine Frau, die gerade ihr Auto aufschließt, ertappt und schaut wie ein erschrockenes Reh Stefan L. an.

Sie: „Sorry, ich mach ja schon.“

Er: „Wieso, was haben Sie denn?“

Sie: „Na, Sie haben so geguckt.“

Er: „Ich hab so geguckt, weil Sie so geguckt haben.“

Sie: „Ach so. Na denn haben wir beide wohl nur so geguckt.“

Sie: Die Frau steigt ins Auto und ist schnell weg.

Sie: 10.25 Uhr, Wilhelmstraße Ecke Voßstraße

Sie: Stefan L. und Birgit N. zerbrechen sich den Kopf, ob sie einen VW-Bus, der eine Feuerwehrzufahrt versperrt, die auf einen Privatparkplatz führt, anzeigen können.

Sie: Wie bitte? Das ist doch wohl ein ganz klarer Regelverstoß! Was gibt es da zu überlegen?

Sie: Ich ertappe mich dabei, wie ich plötzlich für Law and Order eintrete, während die beiden vom Ordnungsamt akribisch nach Möglichkeiten suchen, dem Verkehrssünder Absolution zu erteilen. Diese Feuerwehrzufahrt-Schilder könne sich jeder überall kaufen, das heiße nichts, sagt Stefan L. Und einen Parkschein habe er auch gelöst. Und was ist mit dem abgesenkten Bordstein? Zählt nur, wenn es auf der gegenüberliegenden Seite auch einen gibt, als Übergang. „Im Zweifel für den Angenagten, sag ick immer.“

Wir gehen weiter und treffen auf eine Frau, die in gespielter Verzweiflung vorgibt, kein Kleingeld zu haben. „Wie lange hamse denn vor zu bleiben?“, fragt Stefan L. „Nur zwanzig Minuten.“ Er handelt sie auf zehn Minuten runter. Dann konspirativ zu mir: „Die Ausreden, die man in dem Job zu hören kriegt, sind der Hammer.“ Das Beste sei mal eine jüdische Mitbürgerin gewesen, die sagte, sie sei orthodox und dürfe an Samstagen keine Maschinen bedienen.

Nach einer kurzen Pause mit viel Kopfschütteln wagt Stefan L. noch ein offenes Wort: „Sie hatten gehofft, es gibt mehr Ärger, wa?“ – und zeigt mir – sozusagen zur Entschädigung – was noch alles in seinem Anekdotenfüllhorn steckt. Erzählt von einem Ladenbesitzer, der falsch geparkt und einen seiner Kollegen körperlich angegriffen hat. Demonstriert mir im Rollenspiel, wie die beiden sich Nase an Nase gegenüberstanden, der Typ völlig wutschnaubend. Und wie er, Stefan L., dann mit der „L-Stellung“ reagieren musste: von der Seite kommen und ganz ruhig fragen: Gibt es hier ein Problem? „Damit hat man die Aufmerksamkeit des Aggressors schon mal aus der maximalen Konfrontation herausgezogen. Er ist genötigt, sich abzuwenden.“ Birgit N. hört uns zu, raucht in aller Ruhe eine Zigarette und lächelt ihr schönstes Deeskalationslächeln.

Nach einer kurzen Pause mit viel Kopfschütteln wagt Stefan L. noch ein offenes Wort: Die Polizei aufschreiben, das habe er auch schon gebracht. Während die Beamten in einer Bäckerei saßen und Kaffee tranken. Die hätten es erst nicht wahrhaben wollen, hätten sich dann aber gefügt. „Ick sage, Leute, ihr habt doch ’ne Vorbildfunktion.“

Über diesen Podcast

Die Lieblingsgeschichte der DUMMY-Redaktion: aus jeder Ausgabe eine Kurzreportage für die Ohren. || DUMMY ist ein unabhängiges Gesellschaftsmagazin, alle drei Monate anders: neues Thema, neues Design.

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